Der Herbst hat begonnen, die Tage werden kürzer, die Temperaturen sinken ab. Gerade die Nächte sind mittlerweile teilweise enorm kalt und messen Temperaturen von um die 0 °C und weniger. Langsam aber sicher fängt auch der Pferdeorganismus an sich auf die kalte Jahreszeit einzustellen. Der offensichtlichste Ausdruck der Anpassung des Körpers an die neue Jahreszeit ist wohl der Fellwechsel. Je nach Rasse, Alter, Ausgangsgewicht (je mehr Fettreserven, desto weniger Winterfell wird benötigt) und Haltung können Dichte, Dicke und Länge zwar stark variieren, dennoch wechselt jedes Pferd sein Haarkleid und entwickelt zusätzlich eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Unterwolle. Doch nicht jeder Pferdebesitzer schätzt einen dicken Winterpelz. Es verschmutzt schneller, trocknet langsam und stört beim Training. Die Lösung? Eine Decke muss her. Möglichst frühzeitig, um das Haarwachstum bereits im Keim zu ersticken und die Entwicklung eines zu dicken Pelzes möglichst zu verhindern. Ist das nicht möglich setzen immer mehr Pferdehalter auf das Scheren. Aufgrund der fehlenden Isolationsschicht benötigt das Pferd dann auch in diesem Fall eine Decke. Der Fraktion der Deckenliebhaber stehen die „Naturburschen“ gegenüber, die das Eindecken für einen massiven Eingriff in die Natur des Pferdes halten.
Jedes Jahr auf´s Neue sorgt das Thema "Eindecken" für reichlich Diskussionsstoff - doch wer hat nun Recht?
Grundsätzlich sei gesagt: ein allgemein gültiges „richtig“ oder „falsch“ gibt es wie so oft auch hier nicht, je nach Situation kann eine Decke angebracht oder absolut unnötig bis sogar ungesund sein. Dennoch sollte sich jeder Pferdehalter mit den Mechanismen der Thermoregulation, den tatsächlichen Bedürfnissen des Pferdes und dessen Natur auseinandersetzen, um dann bewusst eine individuell richtige Entscheidung treffen zu können. Sehr häufig werden Pferde nämlich eingedeckt, „weil es halt alle tun“ oder aber einfach aus Bequemlichkeit und nicht aus wirklich gutem Grund. Es steht außer Frage, dass auch die Industrie diese Marktlücke für sich entdeckt hat und der "Deckenmarkt" boomt. Die Palette der Pferdedecken reicht von Fliegendecken über Abschwitzdecken bis hin zu Winterdecken mit verschiedenen Füllmengen. Aber hilft das Eindecken Pferden wirklich oder ist es nur ein Modetrend, dem sich immer mehr anschließen? Lesen Sie hier mehr über die Vor- und Nachteile und entscheiden selbst ob es für Ihr Pferd erforderlich ist.
Thermoregulation beim Pferd - Decke drauf oder runter?
Pferde besitzen einen extrem ausgeklügelten Mechanismus zur Wärmeregulation und sind was das Wetter betrifft wahre Anpassungskünstler. Die Mechanismen zur Temperaturregulation umfassen sowohl strukturelle (Fell und Haarbalgmusken, isolierendes Fett, Durchblutung der mehr oder weniger geweiteten Gefäße) als auch funktionelle Komponenten (Zittern, interne Wärmeproduktion). Gesunde Pferde können in der Regel problemlos Temperaturschwankungen von bis zu 40 °C verkraften. Die Wohlfühltemperatur, die gleichzeitig am energiesparendsten ist, liegt bei den meisten Pferden zwischen -15 °C und +25 °C, wobei die optimale Temperatur bei ca. +0 °C bis +15 °C liegt. Allerdings liegt die "Komforttemperatur" der meisten Pferde bei +5 °C trockener Kälte, sprich deutlich unter den Temperaturen, die wir Menschen als angenehm empfinden. Pferde produzieren erst ab etwa -10 °C vermehrt Körperwärme. Der Pferdehalter sollte daher sein eigenes Kälteempfinden nicht auf das Pferd übertragen. Das Pferd besitzt ganz andere Möglichkeiten zum Temperaturausgleich und sollte daher diesbezüglich niemals „vermenschlicht“ werden. Generell erkälten sich Pferde, die artgerecht gehalten werden und deren Thermoregulation funktioniert, selten. Auch dann nicht, wenn sie beispielsweise in Zugluft stehen oder nass sind. Im Gegenteil sind wechselnde Wetterverhältnisse sogar wichtig: Temperaturschwankungen härten ab, regen den Kreislauf an und bringen den Stoffwechsel in Schwung. Sie trainieren Arterien, Haarbalgmuskeln und Schweißdrüsen.
Studie warnt: "Unnötiges Eindecken kann Pferden schaden!"
Werden fortwährend sämtliche Wettereinflüsse vom Pferd abgehalten (meist aus Angst, das Pferd könne krank werden) "verweichlicht" der Organismus mit der Zeit regelrecht und wird folglich erst Recht anfällig für veränderte Witterungsverhältnisse. Somit benötigen gesunde und artgerecht gehaltene Pferde in der Regel keine Decke.
Lesen dazu auch mehr in unserem Artikel "Wetterfühligkeit beim Pferd: Wenn das Wetter krank macht!"
Vorausgesetzt das Pferd ist gesund, gibt es einige Umstände, die deutlich gegen das Eindecken sprechen. Fakt ist, dass Pferde einen wesentlich niedrigeren thermoneutralen Bereich haben als Menschen, d. h. dass das Kälteempfinden des Menschen niemals auf das des Pferdes umgelegt werden kann. Weiterhin arbeitet beim Pferd der Blinddarm als eine Art gigantischer innerer Verbrennungsmotor und produziert so Wärme, der Blinddarm des Menschen hingegen ist nicht für die Wärmeproduktion zuständig. Gerade die Übergangsjahreszeiten Herbst und Frühling bergen Risiken.
Aufgrund der großen Temperaturschwankungen kann es bei eingedeckten Pferden schnell zu Hitzschlägen o. Ä. kommen. Eine weitere häufige Komplikation des frühen Eindeckens sind außerdem Koliken und Verdauungsprobleme. Viele Pferdehalter lassen sich zudem verunsichern, sobald das Pferd zittert. Dabei ist das Zittern einer der wichtigsten und zentralsten Mechanismen, die der Organismus zur Wärmeproduktion nutzt. Durch das Muskelzittern kommt es zum Aufschluss des Energieträgers ATP (Adenosintriphosphat), dieser Prozess produziert dann Wärme. Das akute, kurzfristige Zittern ist daher nicht nur unschädlich, sondern trägt außerdem zur künftigen Adaption des Körpers an die Witterungsverhältnisse bei. Das Zittern ist ein ganz normaler Prozess zur Wärmeproduktion und bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Pferd tatsächlich friert. Lediglich bei langanhaltendem und extrem starkem Zittern, vielleicht sogar bei eigentlich recht milden Temperaturen, sollte sich der Pferdebesitzer Gedanken machen.
Ein weiterer wichtiger Fakt ist, dass es von der Natur durchaus vorgesehen ist, dass Pferde im Winter drastisch an Gewicht verlieren. Gerade bei unseren oftmals dicken „Wohlstandspferden“ ist es absolut ratsam, den erhöhten Energieverbrauch im Winter und somit auch den natürlichen Gewichtsverlust zu nutzen und nicht künstlich zu behindern. Während es im Sommer oftmals nicht möglich ist, der Gewichtszunahme erfolgreich entgegen zu wirken, sollten gerade Pferdebesitzer mit Hufrehe gefährdeten oder stoffwechselkranken, adipösen Pferden darauf achten, dass ihr Pferd nicht mit zu viel Gewicht in die „fette Weidesaison“ startet.
Entscheiden Sie individuell, ob Ihr Pferd eine Decke benötigt!
Dennoch gibt es gerade unter den besonders blutgeprägten Pferden auch immer wieder Einzelfälle, die auch bei bester Haltung kaum Fell entwickeln, besonders sensibel gegenüber nasskaltem Wetter sind und daher teilweise eingedeckt gehören (bitte nicht verunsichern lassen: auch Vollblüter können oft ohne Decke im Offenstall gehalten werden, die Rede ist hier von Einzelfällen). Selbstverständlich ist es auch bei alten, kranken und sehr dünnen Pferden absolut angebracht, den zusätzlichen Energieverbrauch zu reduzieren und den Organismus mit Hilfe einer Decke zu entlasten.
Lediglich in einem medizinischen Notfall, beispielsweise einer Kolik, nach einem Unfall oder bei schwerem Blutverlust, ist es sinnvoll das Pferd einzudecken, um es vor einem weiteren Temperaturverlust zu bewahren. Bei besonders verspannten Pferde, die einen überdurchschnittlichen Muskeltonus aufweisen (Shivering, PSSM, etc.) kann das Eindecken sinnvoll sein. Fangen diese Pferde an zu frieren sind weitere Muskelverspannungen, Verhärtungen und Blockaden vorprogrammiert. Auch bei Leistungspferden, die auch im Winter hart trainieren, kann es im Einzelfall unter Umständen sinnvoll sein, das Pferd zumindest zeitweise einzudecken. Da jedoch die wenigsten Pferde tatsächlich unter die Rubrik „Sportpferd“ fallen dürften sich diese Überlegungen für die meisten Pferdehalter erledigen. Das Haarwachstum hängt zwar zu großen Teilen von den äußeren Umständen, der Haltung und Fütterung ab. Ob ein Pferd nun eingedeckt werden sollte hängt auch von verschiedenen Faktoren wie Haltungsform, Rasse, Witterungsverhältnissen und dem Gebrauch des Pferdes ab. So kann ein Vollblüter, der meist generell ein nur sehr dünnes Winterfell entwickelt nicht mit einem Robustpferd verglichen werden, der rassebedingt von vornherein meist ein sehr dichtes und dickes Fell entwickelt. Einem Pony machen beispielsweise +5 °C bei nassem Wetter oftmals überhaupt nichts aus, während ein Warmblüter unter Umständen bei nächtlichen +10 °C schon leicht eingedeckt gehört. Daher empfiehlt es sich bei empfindlichen Pferden, diese frühzeitig mit leichten Allwetterdecken einzudecken. Ob das Eindecken nun generell sinnvoll ist oder nicht kann also nicht pauschal beantwortet werden. Viel wichtiger ist, dass sich jeder Pferdehalter um die Wirkung und Konsequenzen des Eindeckens bewusst ist und dann individuell und den Bedürfnissen seines Pferdes entsprechend entscheidet. Sowohl Gruppenzwang als auch reine Bequemlichkeit sind nämlich absolut die falsche Motivation, wenn es um das Eindecken geht.
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